Mittwoch, 3. April 2019

Asleif III




Im Halbdunkel des Schiffsbauchs verlor ich jedes Zeitgefühl. Ab und zu wurden uns ein paar Brocken trockenes Brot hingeworfen und eine Kelle Wasser hingehalten. Die Wachen waren dabei aber ungeduldig und so musste man schnell sein, um das Wasser trinken zu können, statt es über das Hemd geschüttet zu bekommen.

Die Gefangenen saßen in Reihen zusammengekettet und sahen hauptsächlich den Rücken des Vordermannes und die Personen rechts und links neben sich. Links von mir saß ein älterer Mann mit langem Bart. Rechts eine Frau, deren Alter ich nicht einschätzen konnte. Der Mann schien zur See gefahren zu sein, seine Sprache und seine Stimme zeugten von Jahren auf Decks von Schiffen. Die Frau war klein und drahtig und schien sehr in sich selbst zu ruhen. Ihre wenigen Äußerungen ließen auf eine akademische Ausbildung schließen. Nicht, daß mir das Wort „akademisch“ damals bekannt war, aber ich konnte durchaus erkennen, ob jemand mehr im Köpfchen hatte, als ich blutjunger Schiffsjunge.

Nach einer gefühlten Ewigkeit hörten wir vom Oberdeck die Befehle, die einem wenigsten ansatzweise erfahrenen Seemann anzeigten, daß das Schiff eine Pier anlaufen würde. Tatsächlich spürten wir kurz darauf einen Ruck, wie er durch ein Schiff läuft, wenn ein stümperhafter Kapitän oder Steuermann am Ruder stehen.

Schon kurz danach wurden die Gefangenen losgekettet und an Land getrieben. Das Schiff hatte an einer hölzernen Pier festgemacht, die von einem Sandstrand aus ins Meer lief. Dieser kleine Hafen lag in einer natürlichen Bucht und der Blick hinaus auf das Meer lies mich irgendwie erahnen, daß wir uns auf einer Insel befanden.

Man hieß uns am Strand aufstellen und dann stand eine große, grobschlächtige, rothaarige Frau vor uns und malte uns aus, wie unser Leben von nun an auszusehen habe. Wir seien als Arbeitssklaven auf einer Plantageninsel von El Barrakuda gelandet und seien nun sein Eigentum. Wer ordentlich und fleißig arbeiten würde, würde es gut haben und immer genug zu fressen. Wer nicht schnell genug auf Befehle reagieren würde, würde die Neunschwänzige, dabei zeigte sie auf eine Peitsche an ihrem Gürtel, zu spüren bekommen. Und wer es nicht lernen würde, der würde Bekanntschaft mit Don Alfonso machen. Dabei zeigte sie auf einen Hünen, der neben ihr stand. Bei Hvalgud, der Kerl war riesig. Was der da als Arme hatte, hatten andere als Beine. Er war glatzköpfig aber im Gesicht unrasiert und zeigte, als er fies grinste, gelblich-braun verfärbte Zähne mit einigen Lücken dazwischen. Genüsslich strich er über eine Doppelaxt, die an seinem Gürtel hing.

Dann bekamen wir schon unsere erste Aufgabe: wir sollten Tabakballen und Seilrollen auf das Schiff verladen, was uns hierhergebracht hatte. Als ich mit dem ersten Ballen auf dem Rücken die Gangway hochkletterte, sah ich am Heck eine Fahne wehen, die nicht die goldene Krone von El Hammur zeigte. Beim Verlassen des Schiffs sah ich genauer hin und erkannte das aufgerissen Maul eines Raubfisches in silbern auf rotem Grund. „El Barrakuda“ schoß es mir durch den Kopf. Der Mistkerl hat nicht nur den Namen von einem Raubfisch, sondern hat ihn auch gleich auf seinem Jolly verewigt. Na gut, dachte ich bei mir. Den Namen und den Jolly würde ich mir merken…

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