Mittwoch, 31. Juli 2019

Sivar IV


golden. Morgenlicht.
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Ich bin kein Heiler. aber selbst mir sagt die Wunde unter meinen Fingern, dass Nadel und Faden es hier nicht tun werden. Niloufar sieht mich an, die Hand in der Heilertasche. Ich schüttele nur verzweifelt den Kopf. soviel Zeit haben wir nicht.

Mein Blick trifft wieder den Siwars, dessen Augen sich fast schon wieder schließen. Handeln. Jetzt. "Vertrau mir!" ein Flehen mehr als eine Bitte. und doch findet sie noch einen winzigen Funken Antwort in seinen Augen.

Ich atme tief ein – mehr Vorbereitungszeit habe ich diesmal nicht -, greife mit der von den eigenen Wunden noch blutigen Hand tief in die Wunde in seiner Seite, spüre sein Blut über das meine rinnen und lasse los. Lasse alles los. Mit Worten, Stoßgebeten, laut und leise und ungesagt, lasse ich alle Kraft los, die ich noch habe, all meinen Willen zu leben, die helle Flamme meines Glaubens. Für ihn. den Felsen im Ansturm unserer Feinde. für ihn, den Helden meines Wegen. Für ihn…….der mir Freund wurde. so unerwartet. der mir vertraut.

Und urplötzlich kann ich spüren, wie meine Kraft ihn trifft. erahne, wie unter dem Blut Haut zu Haut findet. Wie nicht länger sein Leben mit jedem Herzschlag aus ihm herausrinnt. Kann des Goldenen Schwingen um uns beide spüren. der uns zusammen hält. der möglich macht, was ich gebe.

und als das, was ich gebe, das, was er ist, umarmt, ist es plötzlich, als würden wir uns ansehen. und die Worte, die seine Kehle nur noch flüstern kann, hallen wie ein Echo in der Kraft zwischen uns. "es ist gut…" er öffnet noch einmal langsam, viel zu langsam die Augen. und die Ruhe, die ich darin sehe, droht mich zu zerbrechen. in diesem Moment, den ich nicht wahrhaben will, muss ich vor mir selbst zugeben, was ich doch schon seit vor der Schlacht ahne. und es ist ein Messer in meiner Seele. mein Protest ist mehr ein Wimmern denn verständliche Worte. und ich flehe den Goldenen, den Drachensang an. Federleicht spüre ich Siwars Lied im Sturm meiner Kraft. "ich kann ihn rufen hören…" und er, der soviel mehr ist, als ich es jemals zu sein vermag, lehrt mich noch in diesem Augenblick, wohin der Weg führt. und ich folge ihm.

Das leise Echo seines Liedes klingt neben dem meinen jetzt. und ich verstehe. verstehe, was ich tun muss. was ich tun will. Tränen verschleiern meine Sicht. aber ich stille den Fluss meiner Kraft. "vertrau mir…" ein Flüstern kaum, und doch spüre ich, wie er, der mir doch schon entgleitet, innehält. und in diesem Atemzug schenke ich ihm, was wir ihm längst hätten geben sollen.

Ich finde Worte für ihn. Worte, die dort, wo der Goldene uns in diesem Moment zusammenhält, zu Bildern werden. Ich schenke ihm Erinnerungen, an das, was sein wird. Kraft für den Weg, der jetzt vor ihm liegt. und so flüstere ich, die Stimme heiser vor Tränen, von den Wäldern und Berghängen, von den Dörfern und Küsten der Insel, die zu seiner Zeit Osarien hieß. und ihrer Schönheit. von der Stille des leeren Schlachtfeldes unter dem Sommermond. vom Schatten eines Tores, stark und fest gegen den Feind. und vom Sonnenaufgang, der das Gold des Banners über dem Tor zum Leuchten bringt.

als die ersten Sonnenstrahlen durch das Bild, das nur wir beide sehen, fallen, findet sein letzter Atemzug ein Lächeln.

und meine Trauer bricht sich Bahn.

Mittwoch, 17. Juli 2019

Sivar III

golden. überall.
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Längst ist der Schmerz in der Seite nicht vergangen, auch wenn der Pfeil meinen Körper unlängst wieder verlassen hat.

Zuviele Hände hatten mich durch die Reihen gezerrt. Hatten nicht verstanden, was passiert. Niloufar schließlich findet Leanna, die mich fängt, als ich vor ihr ins Gras sinke.

Geübte Heilerhände entfernen den Pfeil, kippen aus mir völlig unverständlichen Gründen Wasser über meine Seite. Als ich das nächste mal versuche, aufzustehen, gibt Leanna nach. wirft das Heilermesser zur Seite und zieht mich in ihre Arme. Ich spüre ihr Zittern, höre den tiefen Atemzug, den sie nimmt. Ihre Worte jedoch sind nicht das rote Feuer, der Tatendrang, der Schlachtensang, den ich erwartet hatte. Mit ihren Worten blüht mein eigener Weg in mir, spüre ich zum ersten Mal das, was ich anderen bin. Mein eigener Glaube erhebt sich, findet Schwingen, goldene Schwingen und Willen. und Kraft. Wie Sonnenlicht. Wie Wüstenwind. Es ist nicht alles, aber es ist genug. Genug, um stehen zu können. Genug, um laufen zu können. Genug, um diesen standhaften, mutigen, wahnsinnigen Helden meines Weges suchen zu können. Ich suche Worte für meine Dankbarkeit, meinen Stolz auf sie, bin aber nicht einmal sicher, ob ich nicht stattdessen nur Unsinnslaute herausbringe. Leanna nickt nur, Erschöpfung auch in ihren Augen, und schiebt mich in Richtung der Schlacht.

Als ich vorwärts gehe, folgt mir Niloufar auf dem Fuße und ich habe weder Kraft noch Willen genug, ihr zu sagen, sie solle doch bleiben. helfen. heilen. sicher, hier am Rande der Schlacht. Für Worte reicht es immer noch nicht, aber ich greife nach ihrer Hand und sie versteht, dass ich nicht nocheinmal zulassen werde, dass die Schlacht uns trennt.

Dann laufen wir. zwischen allen Linien. suchend, immer suchend. wen ich kenne, den frage ich nach Siwar. doch die, die mich überhaupt hören können, schütteln nur den Kopf. weiter und weiter. Mein Blick wandert über Schlachtfeldrand und Schildwall. über die verschiedenen Truppen des Feindes. und dazwischen. ich ziehe nicht einmal die Waffe. wozu auch. ich halte ja nicht einmal lang genug still, um einen Schlag zu führen oder abzuwehren. Meine Seite brennt noch immer, aber mit keinem Worte, keiner Geste werde ich es erwähnen. es ist nicht wichtig.

Dann endlich. Dort. Hinter all den Kriegern. ihren und unseren. am fernen Rand der Schlacht, kurz vor den Zelten sehen wir ihn. am Boden. der direkte Weg dorthin führt allerdings durch eine Armee drachenloser Roter. die uns, und unsere Schlachtreihen immer weiter fort drängen. ich fluche wie lange schon nicht mehr. Niloufars Hand in meiner erinnert mich allerdings daran, dass ein gewagter Vorstoß im vollen Lauf auch kein valider Plan ist. und so lassen wir uns drängen. treiben mit den Schlachtreihen, nutzen jeden Schritt, jede Lücke, jeden Meter, der uns der anderen Seite näher bringt. ein Ziel nur hatten wir als die Schlacht begann. und ein Meer aus Drachenlosen versucht uns nun daran zu hindern. ein Knurren steigt in meine Kehle, aber nicht der Rote ist es, noch der Grüne, der meine Schritte hier leitet. nicht Jäger noch Krieger an diesem Tag. Hüter nur. eines einzelnen Lebens.

und dann ist der Weg frei. so frei wie er in einer Schlacht eben sein kann. und unser ausweichender Tanz wird zum gradlinigen Lauf. So kurz ist die Strecke eigentlich, so schnell sind wir dort.

Siwar liegt am Boden, Blut tränkt Mantel und Hemd. die stolze Klinge in der Hand. wir sinken neben ihm zu Boden. Niloufar öffnet die Heilertasche, mein Blick zählt die viel zu vielen Wunden unter dem Blut. die Fingerspitzen meiner Hand suchen nach den fühlbaren Zeichen von Atem und Leben in ihm,

und als meine Finger das Blut an seinem Hals berühren, zuckt er. als ich die tiefe Wunde dort finde, öffnet Siwar die Augen. und sieht mich an.

Donnerstag, 11. Juli 2019

Sivar II


golden. Schlachtensang.
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Kaum drei Schritte weit sind wir gekommen, da brodeln die Schlachtreihen auch schon um uns herum. Feinde aus allen Richtungen zersprengen die Schildreihen, die wir bilden. Siwar aber findet immer einen Weg. Im Gegensatz zu mir reicht er aber auch weit über die Reihen unserer Streiter. Wo ich normalerweise jede Lücke im Getümmel auszunutzen weiß und in ständig wechselnder Richtung durch die Reihen schlüpfe, geht er einfach hindurch. In seiner ihm eigenen Ruhe. Mein Blick gilt ihm und Niloufar gleichermaßen. Könnten doch beide nicht unterschiedlicher sein. Wo er vor mir die Ruhe selbst ist, tanzt Niloufars Blick in alle Richtungen, wirkt sie noch graziler als sonst, hier zwischen all den Kriegern.

Was auch immer geschieht, ihr Wissen und meines werden dafür sorgen, dass der Held des goldenen Weges diese Schlacht überlebt. Mehr ist nicht wichtig. mehr ist nicht zu tun. und so wehre ich nur ab, was mich treffen würde. so folgen wir Siwar durch die Reihen und die Schlacht. Seine Klinge, ein Zweihänder entsprechender Größe, liegt blank, funkelt im Sonnenlicht. Keine Wolke steht am Himmel. Golden ist die Sonne, die uns fast schon osarische Hitze bringt. Nicht nur der Rote ist heute bei uns, so scheint es.

Als mir klar wird, wohin unser Weg geht, rufe ich nach vorn. Als Siwar unsere Schlachtreihe hinter sich lässt, rufe ich lauter. Ein Blick über die Schulter, einen Wimpernschlag der Ablenkung, den ich zulasse, zeigt mir, wie Niloufar zögernd, zweifelnd, aber dennoch soviel mehr Verstand als ich zeigend, in unseren Reihen bleibt. Dann sehe ich wieder Siwar, spüre das Moor, dass das Lied der Drachenlosen um mich herum ist. Die doch Abstand halten. Meine Stimme schafft es kaum über den Schlachtenlärm, will den Mann vor mir allein durch Worte zurückholen. und weiß doch, er hat schon andere Schlachten geschlagen, sie alle überlebt. wissend, was er tut. golden und grau. jede Tat abgewogen.

Auf den Schilden vor uns leuchtet das Gold, das ihr Zeichen trägt. Schwert und Waage. das eine das andere zerbrechend. Es kommt mir nicht einmal in den Sinn, dass es völlig wahnwitzig ist, dass ich noch am Leben bin. Ich weiß nur, dass das, was da vor mir geschieht, alles andere, als eine gute Idee ist.

Ich hebe noch einmal die Stimme. Keine Worte als sein Name. und die verzweifelte Hoffnung, dass er mich hört. Wie ein Felsen, unbeirrbar. Mutig, jenseits von Verstand. In diesem Moment sehe ich, was der Goldene stets in ihm sah. und bewundere ihn genauso sehr für das, was er tut, wie ich es doch verhindern will. Die Drachenlosen des goldenen Weges bemerken uns. bemerken ihn. Stolz und Verzweifelung sind wie Flammen und Sturm in mir. und ich versuche es noch einmal. und die wenigen Silben seines Namens ersterben auf meinen Lippen als ein Pfeil – tief aus den feindlichen Reihen, weit, weit hinter den Ungerechten – sich in meine Seite bohrt. Mich zurückwirft, wenn auch nicht zu Boden. zurück bis fast an die eigenen Reihen. Den Pfeil in der Seite umklammernd reiße ich den Kopf hoch. Suche durch die Schmerzensschleier vor meinen Augen nach Siwar.

Doch das letzte, was ich sehe, bevor mich jemand zurück zerrt, sich die eigenen Reihen vor mir schließen, ist das Funkeln Siwars blanker, strahlender Klinge, die in entschlossener Herausforderung auf den Obersten Goldenen zeigt.

Mittwoch, 3. Juli 2019

Sivar I


golden. Augenblick
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Trocken und heiß steht die Sonne über den Feldern Elitawanas, als der Ansturm der Drachenlosen langsam unausweichliche Zukunft wird. Augenblicke sind es nur noch, die uns davon trennen. Ihre Präsenz fast schon greifbar in der Luft. Wie ein schwaches Abbild des letzten Jahres ist es nur, als Niloufar und ich uns ansehen. Wir beide. niemand sonst. Kein Heilerkreis. Keine Krieger. nur wir.

Dann fällt ein Schatten, weit genug für uns beide, und ich finde ein Lächeln. und mein Gleichgewicht. Mein Blick trifft den Siwars, und die Welt hat einen Ankerpunkt. Ein Berg von einem Mann, nannte ihn Thebastus einst. Ein Felsen – sagen alle meine Sinne. Ein Felsen im Ansturm der Feinde. Ein Felsen, fest und stark und unzerstörbar, im Wirbel der Geschehnisse dieser Welt. Ein Ruhepunkt, wohin immer er geht. Als würde er mir stets seinen ganz eigenen Moment mitbringen, der mich innehalten lässt. Wie grad jetzt.

Er nickt uns zu, sieht mich dann an. Ich wechsele einen Blick mit Niloufar. mehr braucht es nicht. "Wir würden mit dir ziehen. als Heiler." er nickt lächelnd, findet dann eigene Worte. "Ich wollte nocheinmal mit dir reden. vor der Schlacht." ich nicke ebenfalls. Für Siwar habe ich immer Zeit. "worüber?" Er zögert einen winzigen Moment. "nichts spezielles…" ich blinzele. Leute, die ohne Anliegen zu mir kommen, sind so selten, dass es mich fast schon irritiert. Dann aber erinnere ich mich, dass die Zeit, die uns in dieser Welt bleibt, selten viel länger ist, als unbedingt notwendig. Ist die Schlacht geschlagen, zum einen oder anderen Ende, reißt es uns fort. und ein Funken Freude glimmt in mir. Über das, was aus der Zeit gewachsen ist. Aus so wenig Zeit. und so wenigen Worten. Aus Schmerz und Stolz, aus Erleichterung und Wut, auf all das, was wir hier anrichten.

ich nicke also noch einmal und finde doch selbst keine Worte für den Moment. dann aber fällt mir auf, was ich schon seit einer Weile in der Hand halte. und ich ahne, was mich dazu gebracht hat. Um meine Hand ist ein goldenes Lederband geschlungen, an dem eine winzige Flasche hängt. Fest verkorkt enthält sie eine einzelne, nahezu filigrane Feder. Ich hebe die Hand und halte die geöffnete Handfläche Siwar entgegen. Fragend schaut er erst die Feder, dann mich an.

"Dies…" Erinnerung lässt mich lächeln. "…ist eine Argylenfeder." die Worte machen ihm genausowenig Sinn wie mir, als ich sie das erste Mal hörte. Mein stilles Lächeln aber wird offener, menschlich fast, als ich ihm andeute, sie zu nehmen. "Die sterbliche Form des Grauen hat sie mir gegeben." Jetzt lächelt auch er. Jahrzehnte mit Thebastus hat er schließlich verbracht. Wo goldener und grauer Weg miteinander verwoben ihr beider Schicksal fand. Vorsichtig nimmt er sie mir ab, windet das Lederband – viel zu kurz für seinen Nacken – um eine der Ketten, die er trägt. Emotionen, die ich nicht ganz beschreiben kann, stehen in seinen Augen.

Dann erhebt sich das Dunkel. Schlachtensang liegt urplötzlich in der Luft und des Roten Schwingen breiten sich am Himmel über uns aus, als die ersten Reihen der Drachenlosen die unseren treffen. ich finde noch Zeit für einen einzelnen Satz.

"Sie bringt Glück."